GALERIE MARTINETZ
Burkhard Mönnich Uncanny Felly
Diese Affen verbergen keineswegs, Malerei zu sein. Sie sind es sogar durch und durch: Eigenschaften, die wir zu kennen und aus dem menschlichen Kontext wiederzuerkennen glauben, begegnen uns auf den Bildern von Burkhard Mönnich völlig unverhohlen als gemalte Phänomene. Selbstverständlich wissen wir, dass diese Affen Stofftiere sind. Und wir wissen ebenso gut, dass diese Stofftiere gemalt sind – und doch: Wie kommt es, dass sie so unvermittelt Gefühle in uns auslösen? Die Tiere sind auf so vielschichtige Weise Abbild, dass es einer Analyse der Schichten bedarf, um sie entschlüsseln. Eine umfangreiche Sammlung gebrauchter Steiff-Stofftiere liegt der Serie „Uncanny Felly“ zugrunde, abfotografiert in stets gleicher Ausleuchtung, und abgemalt in perfekter Wiedergabe all ihrer Eigenschaften. Jeder Pinselstrich ist sichtbar, und je näher wir uns als Betrachter den großformatigen Bildflächen annähern, desto intensiver wird die Malerei selbst zum Thema. An welchem Punkt treten die Gegenstände in der Wahrnehmung zurück, wann sehen wir nicht mehr das dargestellte Motiv, sondern die Malerei selbst? Mit der verringerten Distanz lösen sich nicht nur die Lokalfarben in abstrakte Spektren auf, es stellt sich noch eine weitere Auflösung ein: In den gläsernen Augen der Steiff-Tiere spiegelt sich die reale Umwelt der künstlerischen Inszenierung. Wir können die Lichtreflektion erkennen, das im Glas gespiegelte Fensterkreuz aus dem Atelier des Künstlers. Nichts verhehlt die Kunst und die eigentliche künstlerische Fragestellung, die den Bildern zugrunde liegt. Und nicht zuletzt ist es der Titel, der den Bezug zu dem eigentlichen Thema andeutet, dem Burkhard Mönnich sich in dieser konzeptuellen Serie widmet: Das Uncanny Valley, auf deutsch „unheimliches Tal“, bezieht sich auf ein Phänomen der menschlichen Psychologie.
Die Idee des Uncanny Valley wurde erstmals vom japanischen Robotiker Masahiro Mori in den 1970er Jahren formuliert. Mori stellte fest, dass die Akzeptanz von humanoiden Robotern oder Avataren stark von ihrer Ähnlichkeit zum Menschen abhängt. Wenn ein künstliches Wesen zu menschenähnlich wird, aber nicht perfekt menschlich ist, tritt eine Art „Störfaktor“ auf, der negative Emotionen auslösen kann. Dieses Phänomen ähnelt einem Tal in einem Diagramm, in dem die Akzeptanz des künstlichen Wesens abfällt, bevor sie bei nahezu vollständig menschenähnlichen Wesen wieder ansteigt. Mori beschreibt damit den Punkt, an dem ein künstliches Objekt so realistisch aussieht oder sich verhält, dass es fast menschlich wirkt – aber eben nicht ganz. An diesem Punkt tritt das Unheimliche zutage: Etwas gibt vor, vertraut zu sein, versucht seine Abweichung jedoch zu vertuschen, und wird dadurch zu etwas bedrohlichem. Der Effekt ist eng verknüpft mit tief verwurzelten evolutionären Schutzmechanismen wie Angst oder Ekel und ist – so erläutern es Psychologen – dadurch kaum durch technische Finesse zu überlisten. Mehrere Jahrtausende der Evolution lassen sich kaum durch einige Jahrzehnte der menschlicher Ingenieursleistung ausbooten. Menschen sind darauf programmiert, menschliche Gesichter und Bewegungen zu erkennen und zu interpretieren – das ist eine überlebenswichtige Fertigkeit. Wenn ein künstliches Wesen diese Merkmale nachahmt, aber nicht perfekt reproduziert, führt dies zu einem Konflikt in unserer Wahrnehmung. Darüber hinaus spielen kulturelle und individuelle Unterschiede eine Rolle: Was für manche Menschen unheimlich wirkt, kann für andere faszinierend oder sogar ansprechend sein.
Die Darstellung von künstlichen Wesen in der bildenden Kunst, im Film, Literatur und anderen Medien hat auch dazu beigetragen, unsere Vorstellungen von dem, was als „normal“ oder „unheimlich“ empfunden wird, zu formen. Und hier liegt einer der Ursprungsmythen der Malerei begründet: Das Trompe-l’œil. Im Wettstreit darum, wer das größere Täuschungsmanöver vollbringt, gelingt es Zeuxis, so irritierend echt wirkende Weintrauben zu malen, dass die Vögel danach picken, während Parrhasios einen Vorhang auf die Leinwand bringt, den die Betrachter zur Seite ziehen möchten. Zu einer technischen Meisterhaftigkeit zu gelangen, die der Realität gleichkommt, war – nicht nur vor Erfindung der Fotografie – einer der zentralen, aber nie der alleinige Anspruch der Kunst. Die niederländischen Meister des Goldenen Zeitalter stritten um die Gunst zahlungskräftiger Auftraggeber, schufen faszinierende Abbilder der Wirklichkeit, zogen aber insbesondere durch ihre ausgefeilten Kompositionen in den Bann, mit denen sie ihre Virtuosität in der Darstellung von Licht, Schatten und Materialien beweisen konnten. Ihre Gemälde zeichneten sich durch die präzise Wiedergabe von Texturen, Farben und Formen aus, entführten das Publikum in eine Welt der sinnlichen Erfahrung und anregender Symbolik. Es war eine stolze Riege von Meistern, die sich „Schildermaler“ nannten und einen Affen als Wappentier wählten – dem Menschen evolutionär nahe und verspielte Wesen, die den Menschen gern nachahmen.
Hier schließt die Motivik der Serie von Burkhard Mönnich an. Ganz bewusst ist es nicht der Affe als humorvoller Begleiter einer ernsten Welt, sondern seine artifizielle Synthese, das Stofftier. Die Stofftiere, die Affen aus dem „Uncanny Felly“ bringen uns die vertrauten Begleiter aus Kindertagen zurück und synthetisieren seine Eigenschaften auf unheimliche Weise. Das Stofftier als nachgeahmtes, aber nicht animiertes Wesen steht in der in der Talkurve des Uncanny Valley an der höchsten Stufe der Akzeptanz – und doch erscheinen sie hier als unverwandte Wesen. Das offensiv vorgetragene Kindchen-Schema greift nicht, die großen Augen werden unheimlich, die Stofflichkeit des Fells lädt nicht zum Streicheln ein. Es ist die Entfremdung, die hier zum eigentlichen Motiv wird. Die Verniedlichung des Stofftiers wird mit der Rückübersetzung auf die übersteigerte Größe der Leinwand nicht nur aufgehoben, sondern umgekehrt. Dieserart synthetisiert treten die Eigenschaften umso offensiver zutage, interpretieren wir die hineingelesenen menschlichen Attribute befreit von jeder Niedlichkeit: Verschlagen schaut uns einer der Affen an, ein anderer verängstigt, ermüdet oder draufgängerisch. Hier ist jegliche Vertrautheit des früheren Begleiters nun etwas Unverwandtem, Unvertrautem – dem Unheimlichen gewichen.
Johanna Adam, Kuratorin Bundeskunsthalle Bonn
SKÖNE OKE, Galerie Susanne Neuerburg
Burkhard Mönnich malt Porträts, im klassischen Format eines sog. »Schulterstücks«, in Frontalansicht und freigestellt auf weiß grundiertem Nessel.
Die Typen, die unseren Blick aus seinen Gemälden »en face« erwidern, sind das, was man »Charakterköpfe« nennt: vom Leben gezeichnete Individuen. Unverwechselbar ist ihr Ausdruck, ihrem direkten Blick von großer Intensität und Unmittelbarkeit kann man sich nicht entziehen. Und doch, wenn man die Dargestellten von der Leinwand bäte, könnten sie nicht sprechen, nicht mal das vieldeutige und nur vermeintlich empathische »Ach! Ach!«, das die mechanische Puppe Olimpia in der Erzählung »Der Sandmann« von E.T.A. Hoffmann zu äußern in der Lage ist.
Die Konterfeis stellen allesamt Tiere dar – Affen, Katzen, Ziegen, doch ihre Vorbilder sind keine echten Lebewesen, sondern alte, abgeliebte Stofftiere der Firma Steiff, die der Künstler im Internet erwirbt und in Fotosequenzen porträtiert, die ihm die Vorlagen für seine farbigen Gemälde und kleinformatigen Schwarzweiß-Aquarelle liefern.
Industriell und seriell hergestellte, leblose Gegenstände also, als solche zunächst nur willenlose, erbarmungswürdige Objekte wie die erwähnte Olimpia, durch nichts bestimmt als durch ihre Gestalter. Und doch ist jede dieser Vorlagen so individuell gealtert und von ihrer persönlichen Geschichte geprägt, dass keines der Modelle, beispielsweise der Serie »Coco«, dem anderen wirklich gleicht. Und so scheinen sie in der Beziehung mit ihren ehemaligen Besitzern doch alle ihre eigene Rolle gefunden zu haben: Der Schlitzohrige, die Melancholische, der Kindliche, die Verschlagene – denn manche sehen tatsächlich aus, als könnte man sogar ihr Geschlecht erkennen, ihnen weibliche oder männliche Züge zuordnen. Und so kommen diese Gesichter uns nicht nur eigenartig vertraut vor, sondern rühren uns sogar an.
Näh´ einem alten Socken zwei Knöpfe auf und Du kannst ihn nicht mehr wegwerfen: Das magnetische Zentrum dieser Wesenhaftigkeit der gemalten Tiere sind ihre Glasaugen, die eine unwiderstehliche Anziehung ausüben, aber dabei auch zwiespältige Gefühle wecken. Mit Schauder erfüllt, ruft am Ende der Geschichte von E.T.A. Hoffmann der Hauptcharakter, in Wahnsinn gefallen aus: »Ha! Sköne Oke – Sköne Oke!«, denn die zweifache artifizielle Brechung – seines physischen Blicks wie seiner seelischen Wahrnehmung – durch die Gläser eines magischen Fernglases auf die künstlichen Augen der Puppe hat ihm eine trügerische Lebendigkeit vorgegaukelt.
Auch die Protagonisten auf Mönnichs Bildern grüßen vom anderen Ufer des »Uncanny Valley«, weisen sie doch fast alles auf, was ein lebendiges Subjekt besitzt, bis auf dessen Wesentliches: das Leben. Und das empfindet der Betrachter als beklemmend und unheimlich.
Zu dieser zweifelhaften, abgründigen Belebtheit und ambivalenten Wirkung der von Burkhard Mönnich porträtierten »Dinge« trägt auch die Malweise selbst bei: Obwohl Ölmalerei, ist der lasierende Farbauftrag äußerst locker und frei, die weiße Grundierung des Trägers leuchtet zwischen den Pinselschwüngen auf und erzeugt die lichten Höhungen der umgebenden Farben. Der Pinselduktus verselbstständigt sich und löst die gegenständliche Einheit der darstellten Körper in einer näheren Ansicht beinahe vollständig auf: Der Gegenstand liefert mit einem Mal lediglich den Anlass für die Malerei.
In Thomas Manns »Doktor Faustus« züchtet der Vater von Adrian Leverkühn Wasserglasblumen aus Kristallen. Ihre Schönheit fasziniert ihn und rührt ihn gleichzeitig zu Tränen, da er tiefe Traurigkeit darüber empfindet, wie »sehnsüchtig« die tote Materie die lebendige zu imitieren sucht.
Jedes perfekt gemalte Stillleben löst eine vergleichbare Melancholie aus, ja, umso prachtvoller der Trug gelingt, die saftige, blühende, geilende und gärende Natur möglichst getreu nachzuahmen, desto wehmütiger und schmerzvoller ist die Einsicht ihrer Künstlichkeit, die dem Staunen unweigerlich folgt.
In der Umkehrung hat Malerei auch schon immer tote Materie zu etwas Lebendigem gewandelt – nicht zuletzt aus der beschriebenen Wehmut motiviert. Dieses Vermögen von Malerei interessiert Burkhard Mönnich und sein eigentliches Sujet ist nicht das Dargestellte, sondern die Untersuchung: Was macht das Licht mit dem Gegenstand, wie wandelt sich das Gesehene im Malprozess?
Burkhard Mönnich ist 1966 in Essen geboren und hat sein Studium an der Kunstakademie Düsseldorf als Meisterschüler von Michael Buthe abgeschlossen; der Künstler lebt und arbeitet in Köln.
Birgit Laskowski